Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Ortsgruppe Görlitz

Der Radverkehr im Koaltionsvertrag

Seit über drei Monaten ist die Landtagswahl inzwischen Geschichte. Sie hat die Mehrheitsverhältnisse im sächsischen Parlament verändert. Wir haben für Sie einen Blick in den neuen Koalitionsvertrag geworfen.

Gestern stellten CDU und SPD ihren Koalitionsvertrag vor, der für sie in den nächsten fünf Jahren die Grundlage für eine Minderheitsregierung in Sachsen sein soll. Wir haben den Koalitionsvertrag angesehen und zwölf für den Radverkehr relevante Punkte gefunden. Zum Radverkehr finden sich im Koalitionsvertrag auf S. 63 vier kurze Absätze, deren Bestandteile wir Ihnen hier vorstellen:

„Die Radverkehrsförderung wird erweitert, Planungs- und Genehmigungsprozesse werden verschlankt.“

Die angekündigte "Erweiterung" der Radverkehrsförderung ist vielversprechend, auch wenn sie etwas unkonkret formuliert ist. Zu den Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2025/26 in den nächsten Monaten wird sich zeigen, wie belastbar diese Vereinbarung des Koalitionsvertrags ist. Denn klar ist, dass die sächsischen Kommunen auf eine starke finanzielle Unterstützung durch den Freistaat angewiesen sind. Ähnliches gilt für die Beschleunigung der Genehmigungsprozesse: Man darf gespannt sein. Ein Gesetz zur Planungsbeschleunigung von Radwegen und Radschnellwegen lag beschlussreif immerhin schon einmal im Rund des Sächsischen Landtags, überlebte dann jedoch nicht die Streitigkeiten der Keniakoalition vor der Wahl.

„Die Kommunen werden bei Konzeption und Realisierung von Radverkehrsmaßnahmen (einschließlich Fahrradparken und fußverkehrsfreundlichen Maßnahmen, Nahverkehrschecks) unterstützt.“

Dieser Punkt spielt auf die Förderung kommunaler Projekte durch den Freistaat an. Der Punkt stellt keine Neuerung dar. Dennoch gut zu wissen, dass die Koalition keine Streichung der kommunalen Radverkehrsförderung plant.

„Wir setzen die Förderung des wegebund e. V. fort.“

Dies ist ein sehr wichtiger Punkt für die Radverkehrsförderung vor Ort, denn der wegebund leistet erhebliche Arbeit dafür, dass die Kommunen fit bei der Radverkehrsförderung werden und dass von den Radverkehrsmitteln des Bundes möglichst viel in sächsische Projekte fließt.

„Wir sichern die nötigen Mittel für die Planungen und den Bau von Radwegen und bauen die fachspezifischen Planungskapazitäten aus.“

Auch beim Bau von Radwegen des Freistaats (also im wesentlichen Radwege an Staatsstraßen sowie Radschnellwege) nehmen sich die Koalitionäre vor, nicht zu kürzen. Das ist eine gute Nachricht, wenngleich angesichts stetig steigender Baukosten ein Verharren auf dem bisherigen Mittelansatz faktisch eine Verringerung der Ausgaben für den Radwegebau bedeutet. Denn was sich hinter dem Wort sichern verbirgt, ist keine Erhöhung der Mittel für den Radverkehr. Und auch für diese Festlegung gilt: Erst der Beschluss des Sächsischen Landtags zum Doppelhaushalt wird zeigen, wie viel hinter dieser Festlegung steckt. Ebenso ist ein Ausbau der Planungskapazitäten im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Mehr Planer für den Radwegebau fordert der ADFC schon lange, denn der Radwegeausbau in Sachsen kommt auch deshalb nur so langsam voran, weil für die vielen Projekte zu wenig Personal zur Verfügung steht. Auch dies ist eine Festlegung, die sich schon in den nächsten Monaten überprüfen lassen wird: Mit dem Beschluss des Haushalts durch den Sächsischen Landtag.

„Die ambitionierte Radschnellwegkonzeption in den elf relevanten Korridoren wollen wir umsetzen.“

Dass die neue Regieung die Radschnellwege weiter im Blick behält, ist eine sehr gute Nachricht. 

Für die Umsetzung der inzwischen fünf Jahre alten Radschnellwegkonzeption mit insgesamt 137 km Radschnellwegen genügen die Planungskapazitäten momentan nicht. Bisher sind hierfür im Landesamt für Straßenbau und Verkehr Personen zuständig. In die Planungsprozese für Radschnellwege muss nun endlich mehr Tempo hinein. 

„An Verknüpfungspunkten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und wichtigen öffentlichen Einrichtungen wollen wir bedarfsgerecht den Bau von Fahrradparkhäusern oder -abstellanlagen fördern.“

Der Ausbau von Haltepunkten oder Bahnhöfen zu vollwertigen Verknüpfungsstellen ist für Alltagspendler ein wichtiger Punkt. Denn der Großteil der Fahrgäste muss zwischen Bahnhof und Reiseziel eine weitere Wegstrecke zurücklegen, die zum Laufen in vielen Fällen zu weit ist. Besonders in kleineren Orten ist auch der Busanschluss am Bahnhof nicht gut genug (und volkswirtschaftlich zu stemmen), um jeden Fahrgast vom Bahnhof nach Hause zu bringen. Diebstahlsichere und witterungsgeschützte Fahrradparkplätze und -häuser haben das Potential, die Reichweite von Bahnhöfen und die Nutzung des ÖPNV deutlich zu erhöhen. Der Punkt stellt im Vergleich zum aktuellen Stand der Dinge dennoch keine Neuerung dar. Es ist gut zu wissen, dass die Koalition auch hier offenbar keine Streichung von Mitteln plant.

„Wir wollen das ALRad-Projekt zum Lückenschluss von Radwegestrecken weiterentwickeln. Der Fokus liegt auf der Ertüchtigung des Nebennetzes und auf verkehrsorganisatorischen Maßnahmen im Mischverkehr.“

Im Koalitionsvertrag fehlt das Bekenntnis zum Ausbau des Radwegenetzes an Staats- und Bundesstraßen komplett. Man kann daher nur hoffen, dass die vielen laufenden Planungsprozesse für solche straßenbegleitenden Radwege nun nicht in der Schublade landen, sondern realisiert werden. Das ALRad-Projekt sucht und ertüchtigt in Sachsen Möglichkeiten für alternative Radverkehrsführungen, zum Beispiel auf landwirtschaftlichwn Wegen. Auch wenn wir das Projekt mit Interesse und Anerkennung beobachten, so wird die Standardlösung für den Radwegebau außerorts weiterhin der straßenbegleitende Radweg sein. Ein klares Bekenntnis dazu fehlt im Koalitionsvertrag - leider. Auch ist - vorsichtig gesprochen - sehr umstritten, auf wieviel Akzeptanz bei der Bevölkerung verkehrsorganisatorische Maßnahmen im Mischverkehr im Vergleich zu separaten Radwegen abseits des Autoverkehrs treffen. Wird ein auf die Landstraße markiertes Fahrradpiktogramm wirklich dazu führen, dass Eltern ihre Kinder zur Schule in den Nachbarort fahren lassen können? Werden mehr Menschen das Rad aus dem Keller holen, um damit ihre Wege im Alltag und in der Freizeit auf stark befahrenen Landstraßen zurückzulegen?

Weitere Themen im Koalitionsvertrag

Die Minderheitskoalition hat sich auf weitere Themen verständigt, die sich postitiv auf die Verkehrssicherheit für Radfahrende auswirken könnten. Zum einen ist dies die Festlegung, Verkehrskontrollen der sächsischen Polizei auszubauen (Koalitionsvertrag S. 41), zum anderen das Bekenntnis zur Vision Zero (Koalitionsvertrag S. 62). Implizit erwähnt werden Harmonisierungen der ÖPNV-Tarife (Koalitionsvertrag, S. 63), die dazu führen, dass in Sachsen endlich auch eine einheitliche Lösung für die Fahrradmitnahme im ÖPNV geschaffen wird. Doch angesichts der sehr zähen Entwicklung bei der Erarbeitung eines einheitlichen ÖPNV-Tarifs ist jedoch Skepsis angezeigt, inwiefern die Sächsische Staatsregierung dieses Ziel in den nächsten Jahren erreichen wird, dass sie nun schon seit zehn Jahren von Koalitionsvertrag zu Koalitionsvertrag vor sich herschiebt. Weiterhin streben CDU und SPD an, die sächsischen Regelungen zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu vereinfachen. Damit können Radschwege an Staatsstraßen bürokratiearm gebaut werden. Ob damit die - im Landtag gescheiterten - Änderungen des Sächsischen Straßengesetzes gemeint sind, mit denen im Sommer 2024 der Bau von Radwegen und Radschnellwegen von der UVP befreit werden sollten, bleibt offen.

Viele Themen fehlen

Viele fahrradbezogene Themen fehlen im Koalitionsvertrag leider völlig. So ist weder von der Knotenpunktwegweisung, noch von der touristischen Radroute zwischen Dresden und Breslau die Rede, die von polnischer Seite schon seit fünf Jahren geplant wird. Überhaupt kommt der Radtourismus im Koalitionsvertrag nur am Rande vor. Auch die Lastenradförderung fehlt, genauso wie das Dienstradleasing für Angestellte des Freistaats. Die Koalitionspartner haben sich ebenfalls nicht vorgenommen, die pädagogisch veraltete und unterfinanzierte Radfahrausbildung an Grundschulen zu modernisieren. Ebenso ist die für die Verkehrssicherheit wichtige Forderung des ADFC nach Tempo 70 an Landstraßen ohne Radweg nicht enthalten, genauso wie die Nachrüstung sicherer Querungsstellen am Anfang und Ende von Radwegen an Landstraßen fehlen. Diese sind nach geltendem Recht eigentlich eine Pflichtaufgabe (s. VwV-StVO zu § 2 Rn 36), fehlen in Sachsen nach Schätzungen des ADFC aber an ca. drei Vierteln aller Radwege außerorts. Einen sachsenweit verbindlichen Standard für eine sichere Radverkehrsführung an Baustellen - in NRW seit 15 Jahren vom Land verbindlich vorgegeben - will Sachsens neue Koalition nicht einführen. Auch eine Verstärkung des Kampfs gegen Fahrraddiebstahl sucht man im Koalitionsvertrag vergebens. Schließlich widmet sich der Koalitionsvertrag auch nicht der Frage, wie die Staatsregierung Fachkräfte für den Radwegebau nach Sachsen locken will. 

Fazit

Der neue sächsische Koalitionsvertrag zeigt erfreuliche Ansätze zur Förderung des Radverkehrs. In vielen Punkten bleibt er jedoch unkonkret und hinter früheren Zielsetzungen zurück. Positiv herzvorzuheben ist die Fortführung bestehender Programme wie der Förderung des wegebunds sowie die Absicht, Planungskapazitäten auszubauen und den Radschnellwegebau voranzutreiben. Auch die Förderung von Fahrradabstellanlagen an ÖPNV-Haltepunkten wird bekräftigt.

Kritisch fällt jedoch auf, dass klare Zielsetzungen fehlen und der weitere Ausbau straßenbegleitender Radwege außerorts faktisch infrage steht. Zudem mangelt es an konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, der Förderung von Lastenrädern sowie einer modernen Radfahrausbildung im Freistaat. Auch bleibt offen, wie die Staatsregierung angesichts begrenzter Personal- und Finanzressourcen ihre Vorhaben umsetzen will. 

Dennoch setzt der Koalitionsvertrag einen wichtigten Grundstein: Werden die Inhalte des Koailitionsvertrages von der schwarz-roten Koalition mit Geld und Personal untersetzt, so kann das Radfahren in Sachsen bis 2029 sicherer und komfortabler werden.


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